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Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG


last updated:
16-Jul-2017


Revision 3.0
DDR-SEW

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Autor: Horst Materna  
12.07.2017

 

Flugunfall der IL-62M DDR-SEW am 17. Juni 1989 in Schönefeld

Die Crew unter Kapitän Werner P. hatte den Auftrag den Linienflug IF-102/103 von Berlin-Schönefeld nach Moskau-Sheremetjevo und zurück durchzuführen.
Der Kapitän war seit 1960 im Besitz der Erlaubnis als Verkehrsflugzeugführer und hatte in dieser Funktion in 7796 Flugstunden Erfahrungen gesammelt. Als Copilot flog Jürgen H. (8947 Flugstunden), der Flugnavigator war Erich T. (16 649 Flugstunden) und  Bordingenieur Manfred S. (10 627 Flugstunden). Für die Betreuung der Fluggäste waren neben dem Purser Carmen B. weitere vier Stewardessen sowie ein Steward in Ausbildung an Bord.

Das Flugzeug mit der Werknummer 2850324 hatte seit der Indienststellung vor 10 Monaten 1939 Flugstunden und 546 Landungen absolviert und besaß eine gültige Lufttüchtigkeitsbescheinigung. Die meteorologischen Bedingungen waren ohne Einschränkungen für den Start gegeben.

Um 4:45 Uhr Ortszeit traf die Crew am Flughafen ein und begann mit der unmittelbaren Flugvorbereitung. Mit 103 Passagieren an Bord erfolgt um 6:20 Uhr nach dem Anlassen der Triebwerke das Abarbeiten der entsprechenden Kontrollkarte. Unmittelbar danach erfolgt die Entarretierung der Ruder – ein recht komplizierter Vorgang, der nach Aufzeichnungen des MSRP-64 nicht vollständig durchgeführt wurde.
Die notwendige Kontrolle des Warntableaus über den Zustand der Ruder durch die Crew erfolgte nicht. Während des Rollens prüfte der Kapitän zum zweiten Mal die Freigängigkeit der Ruder, wobei danach unbemerkt die mechanische Arretierung der Ruder erfolgte.

Nach der Startfreigabe wurden die Triebwerke aufgrund der geringen Startmasse von 113 Tonnen auf Nennleistung eingestellt, was eine erhöhte Belastung für den Bordingenieur darstellte, da diese Leistungsstufe nicht gerastet, sondern einreguliert werden muss und das akustische Warnsystem dabei ausgeschaltet ist.
Die Bugradabhebegeschwindigkeit VR war 6:28:05 Uhr, die sichere Geschwindigkeit zwei Sekunden später erreicht.
Der Kapitän hatte bei VR die Steuersäule gezogen, aber es gab keine Reaktion. Vier Sekunden später rief er „Startabbruch“ aus, was von allen Crewmitgliedern eindeutig aufgenommen wurde.
Das Flugzeug befand sich zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 293 km/h  an dem Taxiway B. Hier geschah ein entscheidender Fehler, entgegen der intensiv geübten Handlungsfolge (Leerlauf–Spoiler–Umlegen–Revers) stellte der Bordingenieur alle vier Triebwerke ab und nahm damit dem Piloten alle Möglichkeiten, das Flugzeug noch zum Halten zu bringen.
Die Geschwindigkeit betrug zu diesem Zeitpunkt 303 km/h, die Reststrecke bis zum Ende der Bahn ca. 940 Meter.

Die IL-62M überrollte das Ende der Startbahn mit 262 km/h und leicht links der Mittellinie.
Während der Notbremsung waren fünf Reifen des Hauptfahrwerks zerstört worden. 24 Meter nach dem Ende der SLB setzte das Fahrwerk in einer Baugrube von 40 cm Tiefe auf, wobei das rechte Hauptfahrwerk kollabierte und der Randbogen der rechten Tragfläche den Boden berührte.
Eine aktive Lenkung des Flugzeugs war nicht mehr möglich, es kollidierte u.a. noch mit einem Wasserbehälter, Betonpfählen des Flughafenzauns, der Straßenböschung und sechs Straßenbäumen. Um 6:28:37 Uhr endeten die Aufzeichnungen der „Blackbox“ und das Flugzeug ging nach dem Abriss der linken Tragfläche durch auslaufenden Treibstoff in Flammen auf.

Um 6:32 Uhr waren die ersten Rettungskräfte am Unfallort und begannen mit vier Tanklöschfahrzeugen die Brandbekämpfung, die um 8:09 Uhr erfolgreich beendet wurde. Innerhalb von zwei Minuten konnten 82 Passagiere lebend aus dem in drei Segmente zerbrochenen Rumpf gerettet werden, wobei sich neben dem Kabinenpersonal die Cockpitcrew, die durch die Schiebefenster ins Freie gelangt waren, aktiv an der Rettung beteiligte. Leider verstarben noch zwei Passagiere am Unfallort und weitere im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen, insgesamt forderte der Unfall 21 Todesopfer.

Als Ursache der Arretierung der Ruder wurden zwei Thesen verfolgt, nämlich ein technischer Defekt bzw. eine Fehlhandlung der Besatzung. Nach umfangreichen Untersuchungen konnte eine technische Ursache nicht ausgeschlossen und eine Fehlhandlung der Crew nicht bewiesen werden.

(Die Darstellung des Unfallverlaufs basiert auf dem Abschlußbericht der Sachverständigenkommission der Staatlichen Luftfahrtinspektion der DDR vom 12. Dezember 1989.) 

In einem 1997 durchgeführten Prozess wurde der Bordingenieur von jeder Schuld frei gesprochen, nachdem er seine (nicht erfolgten) Handlungen  mit einem „Blackout“ begründet hatte.
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